Solidarisches Netzwerk von Nachbarschaft und Gewerbetreibenden in Berlin-Kreuzberg

Kreuzberger Kiezgeschichte(n:) Öffentliches Wohnzimmer mit Badewanne – die Kollektivkneipe Kuckucksei im Wrangelkiez

In den 80er Jahren hatten die Leute im Wrangelkiez viel selbst zu organisieren und wenig zum Wohnen. Die Instand-Besetzungen von Fabriketagen und teilweise noch bewohnten Häusern, sagt Francois. Die Treber- und Jugend-Hilfe, sagt Wolf-Dieter. Das Straßentheater und Demos am Kudamm (was als sicherer galt, weil die Polizei sich dort das Prügeln nicht traute), sagt Gertrud.

Francois erzählt, dass er in den Wintermonaten der 1980er in Kreuzberg seinen Kachelofen in der WG zweimal täglich ordentlich angefeuert hat und dennoch nie über 16 Grad Raumtemperatur kam.  Manch Eine schätzte sich glücklich, die Toilette auf halber Treppe zu finden, andernfalls ging es über den Hof. Das war aber nicht weiter schlimm, denn das Leben hatte einen anderen, einen gemeinsamen Ort außerhalb der eigenen vier Wände – die Kollektivkneipe Kuckucksei in der Wrangelstraße 78: Wohnzimmer, Versammlungsraum, Garten und für 2 Mark gings sogar für eine Stunde in die Wanne. Im Kuckucksei gab´s natürlich auch gutes Essen für alle erschwinglich, finanziert durch die Getränkeeinnahmen.

Wie alle Kiez- und Kollektivkneipen war das Kuckucksei genauso gut fürs Aufdrehen wie fürs Ausruhen geeignet. Ein Ort an dem zugehört und mitgeredet, geholfen, geprobt, geschwiegen und auf Schultern geklopft wurde. Und weil viele Leute aus dem Kiez genau das dort taten, weil sie im Kuckucksei gefeiert, diskutiert, getrauert, getanzt, gegessen, getrunken und sogar gebadet haben, war das Kuckucksei so viel mehr als eine Kneipe. Es war Kulturzentrum, Sozialstation, Wohnungs- und Berufsvermittlung, Jugendzentrum, Familienberatung, Sprachschule, sozio-kulturelle Drehscheibe, Netzwerkstelle, Anlauf- und Koordinierungsstelle, Inklusions- und Beteiligungsstruktur, Stadtplanungsbüro u.v.m.  – es war im besten Sinne das was wir heute inklusiv, multifunktional und bedarfsgerecht nennen. Ende der 80er war mit inklusiv, multifunktional und bedarfsgerecht im Kuckucksei jedoch Schluss. Das Kollektiv löste sich auf. Das lag ausnahmsweise nicht am Hauseigentümer, denn der war wohl Willens zu einem stemmbaren Preis an das Kollektiv zu verkaufen. Woran dann? „Die Menschen verändern sich, wollen irgendwann was anderes. Familie und wegziehen und so.“, „Wenn man immer für andere ackert…“,  „Irgendwann passt’s halt nicht mehr.“, sagen Gertrud, Wolf-Dieter und Francois ziemlich ungerührt.

Es gibt nur noch wenige solcher kollektiven, selbstorganisierten Kneipen und Freiräume. Umso wichtiger ist es jeden einzelnen zu verteidigen: Leute für die Meute, Liebig34, Rigaer94, Köpi, Syndikat etc.

Wie sieht es mit Euch aus, wart ihr Gäste im Kuckucksei und möchtet Eure Geschichten mit uns teilen? Dann nutzt die Kommentarfunktion. Wir freuen uns drauf!

Liebe Grüße vom Orga-Team des NaGe-Netz